Was steckt hinter KoMeT?

Mehr als nur Arbeitsstunden!

KoMeT – Kompetenz-Medien-Training

Die Polizeidirektion Darmstadt-Dieburg und das Institut für Medienpädagogik Hessen arbeiten bereits seit mehreren Jahren in Projekten zum Jugendmedienschutz eng zusammen.

Aufgrund der polizeilichen Erfahrungen entstand durch die Jugendsachbearbeitung und die Jugendkoordination die Idee, eine ambulante, gruppenpädagogische Maßnahme für Jugendliche und Heranwachsende zu entwickeln, die mit „Medienkompetenzdelikten“ strafrechtlich in Erscheinung getreten sind.

 

Die Straftaten von Kindern und Jugendlichen, die im Zusammenhang mit einer mangelnden Medienkompetenz stehen, haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Ob der Besitz und/oder die Verbreitung von (kinder-)pornographischem Material, dem Recht am eigenen Bild, Gewaltdarstellung oder Volksverhetzung, ob „Hate Speech“ oder Cybermobbing – immer mehr junge Menschen treten in diesen Bereichen polizeilich in Erscheinung. Nicht selten werden entsprechende Verfahren ohne Konsequenzen eingestellt oder im Rahmen der Diversion Arbeitsstunden auferlegt. Eine Auseinandersetzung der Jugendlichen/Heranwachsenden mit ihrer Straftat und ihrem Verhalten findet in aller Regel nicht statt.

 

KoMeT ist eine ambulante, gruppenpädagogische Maßnahme für, in Zusammenhang mit der Mediennutzung, strafrechtlich in Erscheinung getretene Jugendliche und Heranwachsende, wobei eine Teilnahme aufgrund einer richterlichen Weisung gem. §10 JGG sowie im Rahmen eines Diversionsverfahrens gem. §§ 45,47 JGG möglich ist. 

 

KoMeT umfasst vier Themenblöcke à vier Zeitstunden und wird von zwei sozialpädagogischen Fachkräften durchgeführt. Mindestens ein Themenblock wird durch die Polizei und die Schulsozialarbeit ergänzt.

 

Das Besondere an diesem Projekt ist nicht nur die Tatsache, dass eine Maßnahme im Rahmen der Diversion entwickelt wurde, die auf Straftaten in Zusammenhang mit der Mediennutzung spezialisiert ist, sondern auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Polizei, Jugendamt, Schulsozialarbeit und einem freien Träger für Medienbildung. Gerade dieser multiprofessionelle Ansatz macht KoMeT so besonders und entfaltet die Stärke der verschiedenen Institutionen zum Wohle der Jugendlichen.

 

 

Erfolgskonzept KoMeT 

Was macht KoMeT erfolgreich und unterscheidet es von anderen Projekten? Hier gibt es mehrere Aspekte, vor allem aus Sicht der Jugendlichen.

 

Augenhöhe

Grundbedingung für eine positive Medienpädagogik ist die gemeinsame Haltung der Kooperationspartner, den Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen.

Dies bedeutet zunächst die Akzeptanz der Tatsache, dass die Generation Alpha, das heißt die ab 2010 Geborenen, in einer analog/digitalen Mischwelt aufwachsen und zwischen realer und virtueller Welt nicht mehr unterscheiden. Damit sind die teilnehmenden Jugendlichen erst einmal von einer häufig im Raum stehenden Schuld („die sind doch nur noch im Netz!“), befreit.

Die Perspektive von Erwachsenen und Schule auf Jugend und Digitalisierung kommuniziert immer noch häufig den Vorwurf, digitale Medien seien etwas Schlechtes. Selbst wenn diese Kritik nicht im Raum steht, sehen sich junge Menschen in der Regel mit einem überholten Jugendmedienschutz konfrontiert, der die digitale Welt permanent mit Warnungen versieht und ein wertfreies Gespräch nicht zulässt. Das ist ein Grund, warum junge Menschen selten Gespräche über das Internet mit Erwachsenen führen.

Die sozialpädagogischen Fachkräfte, die KoMeT durchführen, arbeiten mit einer Empathie für das Klientel und deren Lebenswelt. 

Wir wissen, dass die meisten Jugendlichen gar keine andere Chance haben als dauerhaft im Netz zu sein. Die Unterhaltungsindustrie produziert hier Werte und Haltung, stärker und emotionaler als Staat und Bildung. Die Unterhaltungsindustrie hält eine sorgenfreie Zukunft und Perspektiven bereit, sie verspricht das Abenteuer.

Die am häufigsten angebotene Vermittlung von Medienkompetenz reduziert jedoch die Inhalte oft nur auf den Jugendmedienschutz und dies vor allem rein kognitiv. Da digitale Medien jedoch viel stärker emotional wirken (beispielsweise Netflix, YouTube oder TikTok) muss der Weg der Bildung ebenso auf dem emotionalen Weg erfolgen. Hier scheitern die meisten Angebote und erreichen junge Menschen sehr schlecht.

 

Gespräche über das Leben und nicht über die Straftat

So konservativ es klingen mag, ein Großteil der Zeit bei den KoMeT-Veranstaltungen wird gesprochen. Das Gespräch ist nach wie vor der gegenseitige Zugang zu Austausch und Information.

Bei jeder Auswertung der Kompetenzmedientrainings kommt von jungen Menschen der Satz: „Ich habe bisher kaum so lange und so viel über das Leben gesprochen!“.

Durch die hohe Zeit der Mediennutzung und dem permanenten schicken von Nachrichten über soziale Netzwerke ist der tägliche Sprachanteil gesamtgesellschaftlich weniger geworden.

Gerade im Alter zwischen 14 und 17 Jahren suchen junge Menschen gerne das Gespräch, vor allem am Abend und in der Nacht. Doch diese Gespräche gibt es so gut wie nicht mehr. Eine optimierte Generation, die in Abkürzungen denkt und ständig unter Zeitdruck steht, kommuniziert nicht lange und intensiv. 

Bei KoMeT wird die meiste Zeit gesprochen und diskutiert. Lange und tiefgehend. Über das Leben, über Medien und über die Zusammenhänge zwischen dem Menschen und seinen Maschinen.

Dabei setzen wir beim Menschen an und nicht bei der Maschine. Das Internet ist erst einmal ein Stück Draht oder Glas, Strom und ein paar elektronische Impulse. Das was das Internet ausmacht ist der Mensch. Und dieser hat die Verantwortung, trifft die Entscheidungen und hat dadurch Macht. 

Einen Satz, den die meisten Jugendlichen noch nie gehört haben: „Du hast Macht, wenn Du ein Smartphone besitzt.“ Ziel der Gespräche ist es, die Teilnehmenden in eine Verantwortungsposition zu bringen, die mit Haltung und Werten besetzt ist.

 

Alle am KoMeT-Prozess beteiligten Kooperationspartner haben im Vorfeld gemeinsam festgelegt, dass die Teilnehmenden nicht aktiv zu ihrer Straftat befragt werden. Die sozialpädagogischen Fachkräfte haben ein großes Interesse, etwas über die Jugendlichen zu erfahren: Und zwar genau das, was diese gerne preisgeben möchten.

Dies führte bisher teilweise dazu, dass die Teilnehmenden von sich aus etwas zu ihrer Straftat berichteten und auch untereinander ehrlich auf Augenhöhe diskutierten, antworteten und berichteten.

 

Tabuthemen ansprechen

Mit dem Beginn der Pubertät, die im Übrigen immer früher beginnt (heute mit 9 Jahren), stellen junge Menschen ebenfalls früher Fragen an das Leben, die sowohl im normalen Bildungsbereich als auch vom Elternhaus kaum beantwortet werden.

Die Themen Tod und Sexualität stehen hier ganz vorne. Mittlerweile ist klar: Bekommt ein junger Mensch in der analogen Welt keine Antworten, sucht er sie in der digitalen Welt und erhält sie dort meist in einer nicht erwarteten Menge.

Kein Wunder also, dass Pornoseiten und Hinrichtungsvideos, obwohl sie verboten sind, eine große Neugier bei jungen Menschen hervorrufen. Oft verwechseln Erwachsene Neugier mit Vorsatz. 

 

Nach wie vor ist es das Abenteuer, das junge Menschen, vor allem in der Pubertät, suchen. 

Ja, es ist letztlich sogar die Aufgabe eines jungen Menschen, die Welt zu erforschen und möglichst viele Antworten auf die vielen Fragen des Lebens zu bekommen. Doch diese Aufgabe wird von erwachsener Seite aus oft zu wenig begleitet und beachtet. Zudem sind Abenteuer im analogen Raum so gut wie nicht mehr möglich.

Über allen pädagogischen Prozessen, Maßnahmen und Projekten steht die Frage der Haftung. Weil hier kein Risiko eingegangen wird, wird das Aufwachsen im anlogen wie im digitalen Raum eingeschränkt.

 

Authentizität first!

Die durchführenden Fachkräfte von KoMeT sprechen von sich, ihrem Leben und ihren Medienerfahrungen, wie die Teilnehmenden auch. Da kommen gute und schlechte Erfahrungen auf den Tisch, aber vor allem: authentische Erfahrungen. Sie sprechen über eigene Fehler oder äußern eigene Kritik an bestimmten Entwicklungen in der Medienwelt. Dabei erfahren sie eine hohe Akzeptanz und werden von den jungen Menschen sehr ernst genommen. Junge Menschen wissen sehr genau, dass Erwachsene auch Fehler machen und honorieren es, wenn Erwachsene darüber sprechen und diese zugeben.

 

Authentisch ist es auch, sich Weltbilder zu generieren und diese zu vertreten. Gerade durch viele widersprüchliche Informationen, vor allem in sozialen Netzwerken, ist die junge Generation oft alleine gelassen und reflektiert zu wenig.

KoMeT verfolgt daher auch das Ziel, Weltbilder zu deuten und gegebenenfalls zu erschüttern. In der gemeinsamen Arbeit und den Gesprächen werden diese dann wieder aufgebaut.

Diese Prozesse werden von Jugendlichen als spannend empfunden, weil sie selbst Teil der Konstruktion sind. Dabei geht es z.B. um Gerüchte von Pop-Stars oder Schauspieler*innen und was teileweise hinter den vielen Geschichten (Skandalen) steckt, die garantieren, dass „Celebreties“ im Gespräch bleiben.

 

 

Die inhaltliche Ausgestaltung

Reden, zuhören, fühlen, verstehen – aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit viel Kompetenz von jedem einzelnen wird sich den einzelnen Themenschwerpunkten gewidmet.

 

Was machst Du in der digitalen Welt?

KoMeT beginnt mit einer Vorstellungsrunde und der Frage: Wer bin ich und was sind meine Medien.

Die Reflexion der eigenen Medienbiografie ist ein wichtiges Element in der Medienpädagogik des MuK Hessen. Die Fragen werden von allen Anwesenden beantwortet und Jugendliche sind nicht selten verwundert, dass Polizist*innen privat auch einen Insta-Kanal haben und selbst in den digitalen Medien unterwegs sind.

Das gegenseitige Erzählen vom Umgang mit Medien schafft eine weitere Augenhöhe.

Jugendliche nehmen auf einmal Erwachsene wesentlich ernster, wenn diese ebenfalls von ihrer Teilnahme am digitalen Leben berichten.

 

Mitwirkung der Polizei – was geht nicht im digitalen Raum?

Ein weiterer Teil von KoMeT ist ein durch die Polizei geleiteter Block über Mediennutzung und die darin enthaltenen Grenzen der Legalität. Altersangepasst werden die Jugendlichen aufgefordert, sich mit typischen Verhaltensweisen im digitalen Bereich zu beschäftigen, wobei ein Fokus auf strafrechtlich relevante Handlungsmuster gelegt wird. 

In ansprechender Form werden ihnen die Grenzen aufgezeigt, die nicht überschritten werden dürfen, um sich nicht strafbar zu machen. Dies führt bei den Teilnehmern teilweise auch zu der Erkenntnis, sich aufgrund von Unwissenheit strafbar gemacht zu haben. Eine solche Erkenntnis entlastet die Selbstwahrnehmung der teilnehmenden Jugendlichen, weil sie sich nicht mehr nur als Täter sehen. 

Die erlernten Inhalte können die Teilnehmenden im darauffolgenden praktischen Abschnitt direkt in die Tat umgesetzt, sodass neu erworbenen Kenntnisse verfestigt werden.

 

Blickwinkel der Polizei

Die Eltern aller jungen Menschen sind aktuell die erste Generation Eltern, die mit der Herausforderung „Medienerziehung zu Hause“ in diesem Ausmaß konfrontiert wird. Sie haben keine Erziehungsvorbilder, da ihre Eltern sich nicht mit der Nutzung von frei zugänglichem Internet, Smartphones, Spielsucht und Gerätevielfalt auseinandersetzen mussten. Die daraus entstehende, oft großflächige Überforderung der Eltern führt zu einem Mangel an Medienerziehung. Darüber hinaus ist der analoge Raum dem Erwachsenen meist näher und bekannter als der digitale und wird daher bei der Erziehung bevorzugt. Nicht selten wird die digitale Welt als potenzieller Gefahrenraum verteufelt. Dies führt zwangsläufig zu einer unsichtbaren Trennmauer zwischen den Generationen. Hinzu kommt, dass Erziehungsberechtigte oft weder über die Straftaten noch über aktuelle Trends Kenntnis haben und dies somit auch nicht in die (Medien-) Erziehung miteinbeziehen.

Durch die hier angebotene Bildung und Aufklärung der Jugendlichen wird versucht, die fehlende elterliche Begleitung und Medienerziehung zumindest teilweise zu kompensieren.

So wie die Polizei Eltern und Schule bei der Verkehrserziehung seit Jahrzehnten unterstützt, tut sie dies im digitalen Zeitalter nun auch bei der Medienerziehung.

 

Die Medienpraxis darf nicht fehlen.

Die Vorbilder der jungen Generation waren, sind und bleiben die Heldinnen und Helden aus der Medienwelt. Stars, die singen oder tanzen, sich auf YouTube oder Instagram mit eigenen Inhalten präsentieren und damit die Werte, die Haltung und das Weltverständnis Jugendlicher beeinflussen und prägen. Zusätzlich zu Elternhaus, Bildungsinstitution und Peergroup gelten sie als die vierte Sozialisationsinstanz und vermitteln ein oft im Gegensatz zur Erwachsenengeneration stehendes Weltbild. Auf diese Weise prägen sie den für die psychosoziale Entwicklung entscheidenden Lebensabschnitt der Pubertät und Adoleszenz.

 

Die technischen Veränderungen der digitalen Medien und damit verbunden die sich ständig weiterentwickelnden Dienste, Apps und Plattformen, auf die Kinder und Jugendliche in zunehmend jüngerem Alter Zugriff haben, ermöglichen es den Nutzerinnen und Nutzern selbst öffentlich-produzierend tätig zu werden. Damit eröffnet sich die Chance, selbst Medienheld oder Medienheldin zu werden, ebenso wie die eigenen Vorbilder, die häufig selbst noch zur Schule gehen. Die technischen Voraussetzungen schaffen eine besondere Nähe zwischen den medialen Heldenfiguren und Vorbildern und dem eigenen Ich.

Daher wird zum Abschluss von KoMeT ein mediales Produkt erstellt. Ein Comic, ein Film, ein Podcast oder ähnliches, zu einem frei gewählten Thema. Das gemeinsame Arbeiten mit digitalen Mitteln gibt Raum zum Reflektieren und fördert gleichzeitig das gemeinsame und regelkonforme Arbeiten im realen Raum. Die Produkte werden auf iPads erstellt und zum Schluss gegenseitig vorgestellt. 

 

Mit einem Mehr an Wissen und einem fertigen Produkt aus eigener Herstellung, welches eine positive Ressource im Hinblick auf die eigenen Fähigkeiten bildet, werden die Teilnehmenden gestärkt in die Gesellschaft entlassen.

 

Ein weiterer Benefit von KoMeT ist die behördenübergreifende Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Rollen und des unterschiedlichen Auftrags ergänzen und zum Erfolg dieser einzigartigen Maßnahme beitragen.

 

 

Autor*innen: Peter Holnick, Anna Rübensam (POK’in), Katharina Theobald (KOK’in), David Weiser (KHK)